Zu heiß zum Denken – Arbeit oder Hitzefrei?

Damals in der Schule saß man in den Klassenzimmern und hat die Daumen gedrückt, dass der Rektor Hitzefrei verkündet. Dann ging man kurz nach Hause und von dort ins Schwimmbad, an den See, oder hat sich anderweitig ins Kühle verkrochen. So einfach war das. An Universitäten verdreht man über so etwas wie Hitzefrei die Augen – verständlich, wenn viele Studis sowieso nur eingeschränkte oder keine Anwesenheitspflicht haben.

Auch für die Selbstständigen unter euch ist Hitzefrei ziemlich simpel: wenn man seinem Pflichtbewusstsein denn Herr werden kann, macht man frei (oder eben nicht). 

Aber wie sieht die Sache denn aus, wenn man einen Arbeitgeber hat oder selbst Arbeitgeber ist? Als Remotefirma ecken wir mit unglaublich vielen Themen an – wie wendet man diese Regelungen denn auf unser Arbeitsmodell an? Und so ist es eben auch beim Thema Hitzefrei.

So sind die Regelungen im Arbeitsrecht:

Die schlechte Nachricht gleich zu Beginn. Selbst wenn man im BGB lange nach einem Hitzefrei-Paragraphen sucht, wird man nicht fündig werden. Hitzefrei gibt es arbeitsrechtlich nämlich gar nicht. 
Trotzdem müsst ihr nicht hilflos in eurem eigenen Saft garen, denn aus § 618 des BGB und der Arbeitsstättenregel ASR A3.5 ergeben sich doch ein paar wichtige Fakten:

  • Eine Raumtemperatur von über 26 Grad ist nicht „der Gesundheit zuträglich“
  • Sobald die Außentemperatur 26 Grad übersteigt, wird es kritisch, wenn man als Arbeitgeber nichts tut.
  • Werden die 30 Grad Raumtemperatur geknackt, darf man als Arbeitgeber nicht mehr die Füße stillhalten. Arbeitgeber haben die Verantwortung, ihre Mitarbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen.
  • Wichtig ist das natürlich insbesondere dann, wenn es unter den Mitarbeitern gesundheitliche Probleme oder besonders Schutzbedürftige. Besonders schutzbedürftig sind zum Beispiel Minderjährige, werdende oder stillende Mütter und auch die ältere Generation.

Die ASR A3.5 nennt einige Maßnahmen, beispielsweise das Auskühlen der Räume in der Nacht, sowie morgendliches Lüften. Es können auch geeignete Getränke bereitgestellt werden und der Sonnenschutz (also Rollläden und Jalousien) sollte auch jenseits der Arbeitszeit geschlossen bleiben.Und schließlich dürfen die Bekleidungsregelungen aufgelockert werden.


Was uns gefällt:

Auch die Arbeitszeitverlagerung, also das Verschieben der Arbeitsstunden in Richtung „kühl“ ist eine gelistete Maßnahme. Im Sommer wird es früh hell und der Kopf wird schneller fit – wieso nicht etwas früher beginnen? Man könnte mittags eine Runde im See schwimmen gehen, statt in der drückenden Hitze mit der Konzentration zu ringen. Dann noch einmal vier Stunden dran hängen, wenn es nicht mehr ganz so schlimm ist?

Außerdem wird vorgeschlagen, elektrische Geräte nur dann zu nutzen, wenn man sie auch benötigt (sollte man aber immer so handhaben, nicht nur im Sommer!). 

Allerdings steht es dem Arbeitgeber offen, welche dieser Maßnahmen er auch anwendet und welche nicht. Wenn ihr euch schon erfreut die Hände gerieben habt, hier eine kleine Enttäuschung: Ein Recht auf eine Gleitzeit-Regelung hat man leider nicht.

Was uns nicht gefällt

Erst bei einer Raumtemperatur von über 35 Grad Celsius gilt ein Raum nicht mehr als tragbarer Arbeitsort. Ihr könnt auch bei 30 Grad nicht einfach so nach Hause gehen, wenn ihr nicht mehr konzentrationsfähig seid – das ist ein Abmahngrund. Im Zweifelsfall ist der Arbeitgeber nämlich berechtigt, euch einfach in einem kühleren Raum arbeiten zu lassen. Die Ausnahme: leitet ein Arbeitgeber gar keine Maßnahmen ein, dann hat er im Zweifelsfall keine Grundlage mehr, seine Mitarbeiter noch zu reglementieren. Es droht ihm dann außerdem ein Bußgeld von bis zu 5.000,00 Euro.


Bei uns haben diese Regelungen einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlassen. Ehrlichgesagt bekümmert es uns etwas, dass „Wasser bereitstellen“ eine Maßnahme ist, die man tatsächlich auflisten muss. Dass eine Arbeitszeitverlegung jedoch zumindest vorgeschlagen wird, ist eine super Sache. Es zeigt, dass flexible Zeiteinteilung mehr als ein Luxus ist – dafür gibt es zahlreiche Gründe. Wenn ihr euch nicht sicher seid, wie euer Arbeitgeber dazu steht, solltet ihr vielleicht freundlich nachfragen. Wer weiß, vielleicht wäre das eine gute Gelegenheit, Sensibilität für Remotework oder Homeoffice zu schaffen.

In einem Remote-Team wird die Umsetzung solcher Richtlinien natürlich spannend, denn dass der „Arbeitgeber“ bei jedem von uns abends die Fenster zum Lüften aufmacht, ist nicht so realistisch. 
Natürlich ist es machbar, den Mitarbeitern in einer Remote-Firma einen Ventilator zur Verfügung zu stellen. Das ist aber nur praktikabel, solange jeder eine feste Homebase hat. Unterm Strich dürfte die Durchführung der meisten ASR A3.5-Maßnahmen in einem ortsunabhängigen Modell nicht besonders realistisch sein.

Gibt es Remote-Hitzefrei?

Wohl kaum. Wir haben ja nicht einmal einen festgelegten Erfüllungsort.
Wir können euch aber gut aufzeigen, wie wenig der Alltag in einer Remote-Firma manchmal mit dem zu tun hat, was man so kennt. 
Das wären unsere Fragen an den ASR A3.5-Maßnahmenkatalog:

  • Bei wem muss es über 26 Grad haben und um wie viel Uhr und in welcher Zeitzone muss das so sein?
  • Und gilt das dann für alle Mitarbeiter oder nur für denjenigen bei dem es gerade so heiß ist?
  • Wenn man nun an einem Ort lebt, an dem es regelmäßig auch mal 35 Grad hat, muss man dann quasi nie arbeiten und bezieht trotzdem volles Gehalt?
  • Muss ich ab sofort meinen Hitzewelle-Ventilator auf all meine Reisen mitnehmen,  oder muss mir die Firma an jedem neuen Ort einen neuen Ventilator zur Verfügung stellen?
  • Wie viele Ventilatoren darf man pro Jahr und Mitarbeiter von der Steuer absetzen?

Da ist ein Pep Talk über richtiges Lüften und der Austausch darüber, wie jeder das für sich am Besten handhabt wahrscheinlich langfristig die beste Maßnahme. Das können wir mit reinem Gewissen abhaken. Wenn es uns Zuhause zu heiß wird, gehen wir eben woanders hin. 
Das liest sich nun erst einmal witzig (weil es einfach weltfremd klingt). In Wirklichkeit ist das ein gar nicht so geringer Bestandteil in der Organisation bzw. Führung eines Remote-Unternehmens:

So führt uns ein augenscheinlich beiläufiges Thema wie „Hitzefrei“ mal wieder vor Augen, wie viele weiße Flecken es noch auf der Unternehmer-Landkarte der deutschsprachigen Remote-Unternehmen gibt. Wir verstehen die Maßnahmen, sehen ihre Notwendigkeit und doch ist man oft erst einmal ratlos, wie man die vorhandenen Vorgaben mit Ortsunabhängigkeit denn bitte umsetzen soll.

Unter’m Strich: Unklarheit

Nicht falsch verstehen: Wir sind die ersten, die nach mehr Verantwortung für den Einzelnen schreien und die jeden Zentimeter Handlungsspielraum feiern und es als riesigen Erfolg sehen, wenn Menschen ihr Leben frei gestalten können. Es ist uns unbegreiflich, wieso ein derart verstaubtes System im Jahr 2019 denn überhaupt noch gebraucht wird. Wobei uns natürlich klar ist, dass wir mit dieser Einstellung leider, leider noch zu den Paradiesvögeln auf dem Markt gehören. 

So richtig klar ist uns nun aber nicht, was genau Arbeitgeber nun tun sollen. Es liest sich alles nach „Wenn’s heiß wird, muss man eben irgendwas machen, sonst Strafe.“

Was meint ihr? 
Auf jeden Fall hoffen wir, dass ihr bei Anbruch der nächsten Hitzewelle nicht mehr so sehr ins Schwitzen geratet. Wenn ihr merkt, dass es in eurem Unternehmen noch Handlungsbedarf gibt, habt ihr nun hoffentlich genug Information zur Hand.