Was fange ich eigentlich mit meinem Leben an? Was mache ich hier? Warum gebe ich mir diesen Stress? Es gibt ein so paar Fragen im Leben eines modernen Menschen, die man vermutlich bis zur Rente (oder sogar darüber hinaus?) mit sich trägt.
Wir beginnen als Kind recht willkürlich mit irgendeinem Traumbild, das uns besonders aufregend, glorreich oder toll vorkommt. Ich wollte Paläontologin werden, schon vor Jurassic Park und Tomb Raider (aber dann erst recht). Ich hatte in der Grundschule eine Freundin, deren Vater Geologe war und der gerade irgend eine neue Saurierart in Lateinamerika entdeckt hatte. Ich kann mich daran erinnern, dass im Treppenhaus dieser deutsch-mexikanischen Familie wunderschöne bunte mexikanische Holzmasken hingen, außerdem gab es immer dieses tolle Essen.
Ich hatte ein Kaninchen, meine Schulfreundin einen Leguan. Leguan! Die beiden Töchter waren bilingual, gingen ihren Vater an aufregenden Orten auf der Welt besuchen, wenn er auf irgendwelchen Ausgrabungen war – ich stattdessen musste irgendwo in Frankreich auf einem Zeltplatz Baguette von gestern essen und Kanu fahren, und nichts davon fand ich übermäßig zufriedenstellend.
Die Lösung lag also für mich auf der Hand – wenn man Dinosaurier ausgräbt, wird das Leben spannend und bunt und damit fiel die Entscheidung.
Ich habe über die Jahre dieses Bild natürlich angepasst, um Kriterien wie „wie wahrscheinlich ist es, dass ich damit auch nur einen einzigen Cent verdiene?“ erweitert, eine Handvoll Vorurteile wie „Ich habe keine Lust, den ganzen Tag Tonscherben abzupinseln“ ergänzt und die Verbitterung einiger Leute in ebendieser Berufssparte gesehen, deren Karriereentwicklung zur langfristigen Thekenkraft in der hiesigen Studentenkneipe nicht so einladend aussah. Schlussendlich kam ich von meinem Plan ab, habe einen Abschluss für „Sprache, Kultur und Translation“ (das heißt ich bin Übersetzerin oder sowas, Betonung auf „oder sowas“), arbeitete aber selbstständig als Yogalehrerin und Fitnesstrainerin, brannte dabei ziemlich aus (die Ironie!) und heute sagt meine E-Mail-Signatur „Assistenz der Geschäftsführung“, u.A. zuständig für Finanzbuchhaltung und Verwaltung. Hallo, roter Faden?
Worauf will ich hinaus? Ich bin mir nicht sicher, ob es die Tätigkeit gibt, die genau perfekt ist, von der man nicht irgendwann gelangweilt, angeödet, unter- oder überfordert wird und die einen nebenher bitte auch noch so erfüllt, dass man tagtäglich mit einem Strahlen im Gesicht zu Bette geht.
Selbst sehr viel Yoga und jeden Morgen grüne Smoothies haben dabei nicht geholfen, denn das war auch nicht perfekt sondern ehrlichgesagt ziemlich stressig und zermürbend – sah aber auf Instagram hübsch aus.
Ich sehe da einen gewissen ethischen Grundanspruch an die Dinge, mit denen man seinen Alltag ausfüllt. Wenn ich keine Hunde einschläfern kann, sollte ich nicht Kleintierarzt werden und als Pazifist werde ich vermutlich mit einer Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr auch nicht sehr glücklich.
Aber solange ich es ethisch verantworten kann und körperlich wie geistig dazu in der Lage bin, sind die Möglichkeiten weit gestreut und nehmen für viele Menschen wohl eher eine sekundäre Wichtigkeit ein. Warum denke ich das?
Weil die meisten von uns nicht für ihre Arbeit leben, sondern ihre Arbeit als den wirtschaftlichen Grundpfeiler für ihr „eigentliches“ Leben betrachten. Wenn die Arbeit Spaß macht ist das super. Das hätten wir alle gerne, aber die Stadtwerke interessiert es eben herzlich wenig, ob ich seelische Beklemmungen habe und daher meine Stromrechnung offen bleibt. Erfüllung zählt nicht. Rechnung zahlen schon. Und für diesen unumstößlichen Hard Fact verbiegt man sich dann mehr oder weniger weit. Man tauscht Zeit, Energie und (mit Glück) Leidenschaft gegen eine Zahl auf dem Konto. Wenn wir richtig Glück haben ist der Tausch sogar fair oder richtig gut.

Wenn wir Pech haben, schlagen wir uns konstant mit einem zu hohen Stresspegel, zu wenig Energie und viel zu wenig Zeit für unser eigenes emotionales Innenleben herum – für eine Zahl auf dem Konto, die grade so ausreicht, um nicht ständig Existenzangst zu haben, die aber auch nicht ausreichend ist, um die Seele baumeln zu lassen.
Eigentlich ist es ja ganz einfach, könnte man flapsig sagen. Wir lesen uns zwei Minuten den Klappentext von Maslow durch, oder schauen vierzig Sekunden auf die Bedürfnispyramide und dann ist es doch sowieso allen klar:
Für den perfekten Job muss man also einfach nur das alles da oben erfüllen. Okay, kapiert. Ein Haus baut man vom Keller aus.
So ganz klar ist es aber nicht, was wir nun mit der Tatsache anfangen, dass das Leben ein wenig komplexer ist, als man es in ein paar Strichen und fünf, sechs Farben abbilden kann. Und was ist mit der Tatsache, dass Menschen sehr wohl in der Lage sind, ihr Sicherheitsgefühl ihrem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung unterzuordnen. Ich denke da nur an alle Selbstständigen und Freelancer überhaupt. Und: wie viel aus der Kategorie „Sicherheit“ kann man bedenkenlos opfern, um dafür wie viel aus den Kategorien „Individualität“ und „Selbstverwirklichung“ dafür zu bekommen? Und wie kann es sein, dass ein Wert wie „Moral“ der obersten, ergo letzten Kategorie zugeordnet wird? Ist es so, dass Menschen ihre eigene Moral mit Füßen treten, um Hauptsache überhaupt einen Job zu haben?
Ich hatte vor etwas über einem Jahr ein Gespräch mit einem Menschen, der mir auf sehr plausible, glaubhafte Art und Weise erzählt hat, er habe gar keine Lust einen Job zu machen, der viel Herzblut beinhaltete. Ganz einfach, weil die Bürosklaverei und gleichgültiges Schulterzucken weniger Überstunden mit sich bringt und er seine Hirnkapazität lieber für die Dinge aufwendet, die ihn in seiner privaten Domäne auch langfristig glücklich machen – und ich will fairerweise anmerken, dass die Zielsetzungen dieser Privatdomäne nicht gerade viel mit „nach mir die Sintflut“ zu tun haben, sondern durchaus nachhaltig und sinnorientiert sind. Aber irgendwie kann es das ja auch nicht sein. Vielleicht sind manche von uns auch einfach zu kratzbürstig, um eine solche Farce mitspielen zu wollen.
Vielleicht haben wir auch zu oft „Start with Why“ gehört. Vielleicht ist das ein totaler Irrweg, aber es klingt halt so schön idealistisch und blendet auch nur grob geschätzte zwei Drittel der Tatsachen auf dem Arbeitsmarkt vollkommen aus. Und wenn ich noch siebzig Ted Talks von inspirierten, charismatischen Menschen anhöre, deren Logik mich jedesmal aus den Socken haut – nicht jeder kann alles. Nicht alle können die Ausnahme der Regel sein, oder the One-in-a-Million. Keine Ahnung wer sich das ausgedacht hat, aber erstens hat niemand von uns alle Möglichkeiten und zweitens ist es für das Wirtschaftssystem per se auch erst mal irrelevant, wenn ich mir wirklich wünsche, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es ist dasselbe Gefühl wie damals, als ich Paläontologin werden wollte, dieselbe kindliche Naivität, dass es DIE Lösung gibt. Und so kehrt leise der Gedanke Einzug, dass die Lösung vielleicht gar nicht in der Tätigkeit selbst liegt, denn schon meine Motivation als Kind unterlag der Willkür.
Es stellt sich also nicht die Frage, was der perfekte Job ist – dazu gibt es ohnehin keine allgemeingültige Antwort und vielleicht ist es auch wirklich egal, was man arbeitet. Wer von uns in der Lage ist, sich tatsächlich Gedanken um sein Why zu machen, hat schon eine erfreuliche Ausgangsbasis.
Ich glaube es stellt sich nicht einmal die Frage, wie der perfekte Job ist.
Irgendwie geht es doch im Kern der Sache hierum: Wie will ich sein? Was sind die Grundfesten meiner Persönlichkeit? Wohin möchte ich mich entwickeln? Auf was kann ich auf diesem Weg nicht verzichten? Auf was will ich vielleicht zukünftig ganz gezielt verzichten? Wovon brauche ich mehr?
Um dein Why kannst du dich danach immer noch kümmern.
Wenn du lernst, auf dich selbst zu hören und mit dir selbst im Einklang bist, ist es nicht mehr wichtig, ob du FlipFlops am Strand verkaufst oder Bankberater bist.
Häuser baut man vom Keller aus.
Bevor du darüber nachdenkst, was du tust, könntest du auch klären, wer du eigentlich bist.
Welchen Anstrich du den Wänden verpasst, kannst du dir überlegen, wenn sie stehen.